Montag, 17. August 2009

Laufbahnbiographisch Buch führen?

Systeme werden von Menschen entwickelt. Wenn diese es mit der Moral nicht so genau nehmen, dann helfen die besten Systeme wenig. Thomas Sattelberger schreibt im Newsletter der Selbst-GmbH 1/2009, dass Personaler an drei Hebeln ansetzen können, um moralischem Verhalten wieder mehr Gewicht zu verleihen. Einer davon besteht darin, "systematisch Frühwarnsignale über Menschen zu erfassen und ... exzessive Verhaltensausschläge und charakterlich problematische Handlungsweisen ... zu speichern." Dazu müsse man "laufbahnbiographisch Buch führen". Ansonsten nämlich lassen wir uns nur allzu leicht blenden von aktuellen Erfolgen.

Organisationen hätten in dieser Beziehung ein Kurzzeitgedächtnis, mehr als zwei bis drei Jahre würden die Verantwortlichen nicht auf dem Schirm haben, alles, was sich ein Kandidat zuvor
geleistet hat, gerät in Vergessenheit. Fehlentwicklungen allerdings hätten oft lang zurückreichende Wurzeln.

Ich glaube nicht, dass Unternehmen ein solches Kurzzeitgedächtnis haben. Sicher, ein Vorstand mag leicht darüber hinwegsehen, wenn ein Manager, der im Laufe seiner Karriere etliche Leichen hinterlassen hat, mit einem beeindruckenden Verhandlungserfolg dem Unternehmen einen satten Gewinn beschert. Aber das Wissen über skrupellose Karrieristen, Blender und Zocker ist im Unternehmen immer vorhanden und geht keineswegs verloren. Da muss man nur die richtigen Leute fragen...

Ich habe einmal einem Vorstand die Ergebnisse von Feedbacks, die wir aus verschiedenen Quellen über die hoffnungsvollsten Kandiaten erhoben hatten, präsentiert. Darunter waren auch einige Ergebnisse, die so gar nicht zu dem Bild passten, das sich die Herren in der Top-Etage von den Betreffenden gemacht hatten. "Wie kann das sein, dass Herr X von einigen als offen, kooperativ, kollegial erlebt wird, von anderen als rücksichtslos, berechnend und nachtragend?" lautete die Frage.

Es war ganz einfach: Herr X orientierte sich am Status und verhielt sich so, wie er es für sich am vorteilhaftesten empfand. Und siehe da, es meldeten sich auch im Vorstand plötzlich Stimmen, die genau dieses Verhalten schon beobachtet hatten.

Warum können sich solche Personen dann trotzdem durchsetzen? So traurig es ist: Egal was in den Leitlinien steht, es sind eben doch andere Werte, die zählen. Oft genug erlebt: "Herr Y als neuer Gruppenleiter? Das wird zu massiven Konflikten in der Gruppe führen..." - "Mag sein, aber Sie können nicht leugnen, dass seine Ergebnisse überragend sind..." (was dann zu der weisen Entscheidung führt, ihn zu einem Führungstraining zu schicken, damit er in Sachen Sozialverhalten "repariert" wird.)

Da mag ein Personaler noch so ausführlich Buch darüber führen, welche Verhaltensmuster die Kandidaten in ihrer Biographie bisher gezeigt haben: Wenn die falschen Werte hochgehalten werden, ist es für die Katz...

Rezension zum Thema:
Das kurze Leben der Unternehmen, Personalwirtschaft 3/2009

1 Kommentar:

Frank Taschner hat gesagt…

Danke für den Hinweis zu dem SelbstGmbH-Newsletter von Hr. Sattelberger, den ich bisher nicht kannte. Ich habe den Eindruck, dass mit der dort vertretenen "Sei dein Unternehmer"-Ideologie und der notorischen Forderung nach "wieder mehr persönlicher Moral" der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben wird, vor allem in bestimmten AG-Kontexten, in denen Gewinnmaximierung am Ende des Tages eben doch die oberste Spielregel (oder auch oberster Wert) ist und nicht der vielgepriesene Gemeinschaftssinn oder die schon etwas angestaubte Solidarität.
Zu der sehr schönen Geschichte von Herrn X: Mich würde es nicht wundern, wenn der hoffnungsvolle Herr X mit seiner starken Statusorientierung sich nur an dem orientiert hat, was er an opportunem Verhalten bei den Herren (gab's auch Damen?) in der Top-Etage, die sich da so wunderten, erlebt hat. Er wär ja dumm gewesen, wenn er die Spielregel der Statusorientierung missachtet hätte.