Prof. Kruse von nextpractice hat in Tiefeninterviews mit 150 Internetusern herausgefunden, dass diese das "Mitmach-Web 2.0" zwar schätzen, aber offensichtlich die Orientierung verlieren. Sie sehnen sich vor allem nach Qualität. Nachvollziehbar - wer von einer Belanglosigkeit zur nächsten stolpert und nach stundenlanger Suche nach wertvoller Information frustriert aufgibt, der hätte sicher nichts dagegen, wenn er statt Datenmüll und trivialen Inhalten Texte entdeckt, wie er sie von gutem Journalismus kennt. Zu dumm, oder?
Ähnlich geht es mir, wenn ich in an einem Zeitschriftenkiosk stehe. Unfassbar, was dort alles an buntem Papier zu finden ist, wer soll sich da noch zurecht finden? Das ist keineswegs ein Problem des Internets, oder? Der Unterschied: Die Zahl der Zeitschriften ist dann doch endlich, welche nicht gekauft wird, verschwindet. Auch wenn sie schnell durch die nächste ersetzt wird, es gibt offensichtlich eine Obergrenze des Verkraftbaren. Im Internet hingegen, wo sich jeder und alle, die eine Tastatur oder zumindest eine Computermaus bedienen können, darstellen können, scheint es keine Grenze nach oben zu geben.
Premium, aber bitte kostenlos
Doch es gibt noch einen weiteren Unterschied, und den haben die von Herrn Kruse Interviewten entweder nicht erwähnt oder man hat sie gar nicht danach befragt: Wie kann man Premium-Inhalte erwarten, wenn man nicht bereit ist, hierfür einen Preis zu zahlen? Premium-Journalismus im Internet, aber bitte kostenlos? Von einer Redaktion sorgfältig überarbeitete Inhalte wünschen sich die Menschen? Stimmt, das hören wir auch immer wieder. Aber unsere Erfahrungen zeigen auch, dass man nur sehr zögerlich bereit ist, hierfür Geld auszugeben.
Beispiele: "Sehr geehrte Damen und Herren. Ich bin auf der Suche nach Informationen zum Thema X. Bitte senden Sie mir entsprechende Unterlagen, Links und sonstige Quellen zu."
Oder: "Ich habe auf Ihrer Seite einen Text gefunden, der mir sehr weiterhelfen würde. Wäre es möglich, ihn mir ausnahmsweise kostenlos zur Verfügung zustellen? Ich werbe auch immer für Ihr Portal!"
Manchmal bin ich versucht zu antworten: "Gehen Sie eigentlich morgens auch zu Ihrem Bäcker und bitten ihn darum, Ihnen ausnahmsweise die Brötchen kostenlos zur Verfügung zu stellen, weil Sie immer fleißig Werbung für ihn machen?"
Bei aller Hilflosigkeit angesichts des Informationschaos: Man wird wohl weiterhin mit dem Mengenproblem und der Unübersichtlichkeit leben und auf "die Erhöhung der Bedeutungshaltigkeit" noch eine Weile warten müssen.
Rezension zum Thema:
Kritik am Web 2.0: User vermissen Orientierung, wirtschaft + weiterbildung 1/2008
Samstag, 12. Januar 2008
Keine Orientierung im Internet?
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6 Kommentare:
Auf den Punkt gebracht, Herr Thönneßen! Auch über zehn Jahre nach "Erfindung" des Webs sind wir noch orientierungslos, was dieses Medium betrifft: Wo bleibt die Qualität? Mehr Struktur! Woher nehme ich die Zeit? ... Leider werden derzeit diese Unsicherheiten durch die etablierten Meinungsmacher noch geschürt, anstatt etwas Selbstbewußtsein der Leser und Konsumenten im Umgang mit diesen Möglichkeiten aufzubauen.
Gruß, JR
Ich wundere mich immer wieder woher die Ansprüche nach Qualität und Struktur kommen. Nimmt man die Enstehungsgeschichte des Internets (technisch, soziologisch, inhaltlich) zeigt sich eines immer wieder (trotz diverser Überwachungs/Kontrollversuche verschiedenster Organisationen/Staaten etc.): Das Internet ist ANARCHIE. Ich meine das nicht im negativen Sinne, ganz im Gegenteil. Alle inhaltlichen Entwicklungen werden per Mausklick gefördert bzw. abgelehnt. Das Selbstbewußtsein der Leser und Konsumenten ist hier weitaus deutlicher spürbar als bei jedem anderen Medium. Es gibt kein Vorab-Vertrauen in das Medium (oder die Webseite/Blog) wie bei den klassischen Informationsquellen mit langerjähriger Präsenz am Markt (sei es die Tagesschau statt den RTL news im Fernsehen, oder die respektablen Printmedien).
Keine Struktur? Kommt auf die eigene innere Wissens-Strukur des Individuums an. Liegt dort keine vor, kann man auch keine im Internet finden.
Zur der Umsonst-Mentalität des Internetnutzer aus Sicht des Autors: Der Vergleich hingt erst einmal etwas mit dem Bäcker und den Brötchen. Die Investitionen in MWonline technischer/infrastruktureller Art sind um ein vielfaches geringer im Vergleich zur Publikation auf konventionellem Wege (MWoffline?) und wäre ungemein schwerer gewesen.
Ich gehöre zwar zu den "Weiterempfehlern" von MWonline, aber die Möglichkeit etwas dilentantisch/unternehmerisch positiv naiv mit so einer Plattform zu beginnen (Hochachtung an J.T.), verzeiht gerade am Anfang qualitative Fehler/Unzulänglichkeiten (welche sonst viel Geld gekostet hätten). Wo wäre MWonline ohne die vielen kostenlosen Beiträge in seiner Verbreitung und letztendlich auch der Reputation. Die (Kostenlos)-Geister die man rief, wird man nicht wieder los.
Auf eine Lösung/Mentalitätswechsel vom Leser zum Konsumenten hin bin ich gespannt, bleibe aber skeptisch ob sich die direkte Vergütung für inhaltliche Leistung (nicht nur bei MWonline) durchsetzt. Andere Formen der Finanzierung sind aussichtsreicher.
Gruß
MWonline-Fan
Gute Erklärung, bin 100%ig einverstanden, was die "innere Wissenstruktur" betrifft.
Kostenlos: Auch gut nachvollziehbares Argument mit den geringen Investitionen - was aber leider jetzt nicht mehr gilt.Die Skepsis kann ich gut vestehen. Aber vielleicht führen ja mehrere Wege nach Rom.
Herr Thönneßen, Sie sprechen mir aus der Seele. Ein hoch emotionales Thema jenseits von Elektronik-Discountern! Gerade auf dem Beratungsmarkt begegne ich auf Schritt und Tritt dieser Haltung: "(Best)Leistung gegen Marketing". Die grassiert meiner Erfahrung nach on- und offline. Ob Veranstalter, die kostenlos, also auch ohne Übernahme der Reisekosten, einen Vortrag haben wollen - "Es ist für Sie doch eine Super-Marketingchance!" (O-Ton)... oder auch selbst hochpreisig am Markt agierende Anbieter, die mir ein Marketing-Taschengeld anbieten
(16,66 Euro pro Stunde für einen anspruchsvollen Job, um ganz genau zu sein...)... Da bleibt nur, den eigenen Wert klar zu definieren und deutlich "nein" zu sagen. Wenn alle mitmachen, weil sie meinen, sie müssten das, wird es schlimmer, das ist garantiert...
Ach, lieber anonym, wenn das so einfach wäre ...
http://www.gurteen.com/gurteen/gurteen.nsf/id/work-for-free
Beste Grüße, JR
Lieber JR,
auch ich unterscheide noch zwischen frei und lau ;-) Frei mache ich ja auch, auf einer von mir sehr geschätzten Plattform zum Beispiel und das auch noch willig, also freiwillig ;-) Lau hingegen, das sagt das Wort, ist für mich: ärgerlich. Dann nämlich, wenn andere mich instrumentalisieren (wollen), um sich selbst und die eigene Marktstellung noch mehr auszubauen (und die goldene Nase mit neuen Schichten zu überziehen). Da kümmere ich mich lieber ums Selbst-Marketing. Und eines ist klar (für mich): Einem Kollegen einen Hungerlohn für wertvolle Dienstleistung anzubieten... no way. Das verbietet mir der Anstand.
Ich lebe das, was ich schreibe. Manchmal ist es schwer. Manchmal auch seeeehr wohltuend... ;-))
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